In einem Beitrag zu einem Gedicht von Elisabeth Barrett Browning (EBB) las ich, dass die Autorin viel Christliches erwähnt. Aber dennoch sei das Gedicht ergreifend. Das Christliche sei nur eine Sprachform der damaligen Zeit gewesen. Heute würde sie anders schreiben.
Dass sie heute anders schreiben würde als damals, ist natürlich eine Kokolores-Aussage. Denn der Mensch schreibt in der Zeit, in der er lebt. Und er denkt in der Zeit, in der er lebt. Die Person der Gegenwart, die das geschrieben hat, würde auch in der Zeit von EBB anders geschrieben haben. Aber was sagt das schon aus?
Und so muss man den Menschen in seiner Zeit ernst nehmen. Und auch in der Zeit von EBB gab es unterschiedlichste Strömungen: Ablehnung des christlichen Glaubens – und den Glauben in einer ganz breiten Schattierung: allgemeinen traditionellen Kirchenglauben, sehr frommen, bis hin zu fanatischem Glauben, Glauben, eng, gesetzlich, trist, Glauben frei, beweglich, freudig. Glauben durchzogen von Zweifeln, Glauben, mal aufflammend, mal abbrennend, Gott geht ein in die Natur, Gott wird durch die Natur als Gott erkannt, die Natur wird erst als Schöpfung durch Gott in ihrem Wert erkannt. Menschen haben sich über den Glauben lustig gemacht, andere verfolgt, andere suchten… Auch im 19. Jahrhundert gab es verschiedenste Formen. Und ein Mensch konnte wählen. Und EBB glaubte eben, wie sie glaubte.
Glaube durchdringt den ganzen Menschen, seine Weltsicht. Er hilft, mit der Krankheit umzugehen – EBB war immer wieder sehr krank, hilft mit Rückschlägen im Leben umzugehen, hilft das Sterben zu erleichtern. Glaube ist nicht einfach ein Sprachstil. Er wurde zum Sprachstil bei den Dichtern, die die alten griechischen und römischen Götter in die Gedichte brachten. Aber das ist Larifari, das ist kein Glaube. Keiner der Dichter hat an Pan geglaubt, keiner an Zeus. Und wenn die „Götter“ ins Spiel kamen, war es Sprachspiel der damaligen Zeit. Wer heute sagt: Das mögen die Götter wissen! spricht damit nicht seinen Glauben aus.
Der christliche Glaube hat EBB massiv durchdrungen. Sie war die, die sie war durch den Glauben. Gerade bei ihr muss man das sagen, da ihr Werk wie bei kaum einem anderen Dichter/einer anderen Dichterin mit dem Glauben verwoben ist, aus ihrem Glauben herauskommt. Sie von ihrem Glauben zu lösen macht sie zu einem anderen Menschen.
Das hat auch ein Artikel von 1884 begriffen, die Zusammengehörigkeit von Glaube – Worte – Leben. Zu der Zeit wurde noch nicht versucht (zumindest ist mir das nicht bekannt), Menschen ideologisch anzupassen. Damals wurde gesagt: Glaube – Unglaube, aber nicht, dass Glaubende im Grunde Ungläubige sind, die das alles nur aus Konvention oder aus sonst welchen Gründen formuliert haben:
Der tiefe religiöse Geist, der Mrs. Browning durchdrang, führte sie häufig zu der Wahl von Themen, die in irgendeiner Weise mit den großen Wahrheiten der christlichen Religion verbunden waren, … einen tiefen und intensiven Glauben, erkennbar an der Haltung, die sie in ihren Werken eingenommen hat, erkannt von jedem, der sie kennengelernt hat. https://victorianweb.org/authors/ebb/cornhill.html
Zudem wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts Frauen einer Psychoanalyse im Sinne Freuds unterzogen: Sie schrieben nur so gläubig, weil sie sexuell verklemmt waren usw. usw. usw. Das ist mir bei EBB noch nicht begegnet. Aber all das zeigt, wie wenig ernst die Dichterinnen als Menschen genommen werden, wenn sie nicht als die Menschen genommen werden, die sie waren. Dazu gehört nun einmal auch ihr Glaube.