Anmerkungen zu dem Interview zum Thema Trauerphasen (Januar 2020)

1. Grundsätzlich

Es gibt kaum Predigten oder Traueransprachen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Das hat unterschiedliche Gründe: (a) die Ansprachen sind frei gehalten worden oder mit Hilfe von ein paar Stichpunkten; (b) wenn eine NS-Predigt gehalten worden war, die auch aufgeschrieben wurde, so hat man sie nach 1945 vielfach verschwinden lassen. (c) Die Kirchenleitungen empfahlen den Pfarrern, sich unpolitisch zu verhalten. (d) Predigtsammlungen wurden durch die Bombenangriffe zerstört; (e) kirchliche Zeitschriften wurden ab ca. 1940/41 weitgehend eingestellt.

Es gibt somit aus der Zeit kaum authentische Predigten, geschweige denn Traueransprachen. Was Predigten betrifft, so hat man zum Beispiel von Arnold Köster (s.u.) viele, weil eine Frau der Gemeinde sie mitstenographiert hatte. Das ist ein ganz seltener Fall. Diese wurden auch nach 1945 noch bekannt gemacht, weil sie NS-kritisch waren.

Exkurs: Traueransprachen

Zudem: Was ist eine Traueransprache? In einer Traueransprache, die christlich orientiert ist, geht es darum, dass die Trauernden gestärkt werden. Sie werden gestärkt, indem man sie an die Basis ihres Glaubens erinnert: (a) Jesus Christus ist auferstanden – der Verstorbene wird wie Glaubende insgesamt auferstehen; für Christen bedeutet das nicht irgendwie im Herzen oder auf irgendeinem Stern weiterleben, sondern ein begründetes Weiterleben bei Gott (begründet, weil Jesus Christus als Auferstandener erfahren wurde); (b) wenn wir Menschen im Zusammenhang mit dem Verstorbenen ein schlechtes Gewissen haben oder ihm etwas nachtragen, dann wissen Glaubende, dass ihnen selbst vergeben wurde und dass dem Verstorbenen auch vergeben wird. Das heißt: Man kann loslassen, wird nicht an und von der Vergangenheit gefesselt. Das lernt man in homiletischen Seminaren, dann vor allem auch während des Vikariats. Und dieser Trost ist abhängig auch von den Zeiten, davon, wie die Menschen sterben, in welchem Verhältnis die Hinterbliebenen zum Verstorbenen standen. Eine gute Traueransprache weist also auf das Eigentliche: Jesus Christus – von da ausgehend auf die Trauernden, den Verstorbenen – das nicht als Menschen, die im Vakuum leben, sondern in konkreten Situationen und Verhältnissen zueinander. Damit versucht man die die Trauerphasen in gute Bahnen zu lenken, in Bahnen, die nicht in die Sackgasse des Nachsterbens führen. Manche Pfarrer der Vergangenheit haben sich während der Trauerfeiern hinter Bibelworten versteckt. Aber wenn ich die Traueransprachen von Bonhoeffer und Ebeling lese, dann war es auch schon während der Zeit des Nationalsozialismus bekannt, die Traueransprachen in der von mir genannten Art durchzuführen. Ein Verstecken hinter der Bibel war dann angemessen, wenn man sich – wie von Kirchenleitungen vorgegeben – nicht politisch äußern wollte.

Nichtchristliche Traueransprachen in unserer Kultur greifen vieles davon auf. An die Stelle des Weiterlebens in Jesus Christus kommt dann jedoch irgendwas, was die Menschen sich so denken, vor allem aber auch: Er lebt in der Erinnerung weiter.

Dieses „Irgendwas“ wird in der Zeit des Nationalsozialismus ideologisch geprägt: Man ist Teil des ewigen Volkes, man ist Teil der Natur, man stirbt – ohne Auferstehungshoffnung – aber für die Auferstehung des Volkes. Man ist sozusagen als Soldat ein Jesus Christus, der für die Auferstehung des Volkes sein Leben zum Opfer gibt. Die Trauer wird banalisiert. Letztlich wird dann auch über die Trauer hinweggegangen, statt sie aufzufangen. Als das große Sterben begann, nicht mehr nur der eine oder andere Soldat starb, sondern sehr, sehr viele, da konnten die Trauerphasen auch nicht mehr wirklich gelebt werden. Manche, wie Ebeling (s. 5b) schreibt, werden sarkastisch, manche gleichgültig, manche trostlos. 

2. Trauerphasen

Grob gesagt gibt es folgende Trauerphasen: (a) Nicht-Wahrhaben-Wollen (zeitweise lebt man so weiter, als sei der Mensch nicht verstorben); (b) Aufbrechende Emotionen (Zorn gegen Ärzte, gegen den Verstorbenen, Schuldgefühle-Selbstvorwürfe); (c) Suchen und Sich-Trennen (Nähe zum Verstorbenen wird gesucht, man erinnert sich an gemeinsame Erlebnisse, sieht sich Bilder und Videos an, kommuniziert mit dem Verstorbenen: Was hättest du gemacht…, man übernimmt seine Tätigkeiten – und lernt damit, den eigenen Weg zu gehen); (d) Zuletzt findet man einen neuen Bezug zur Welt, zu sich selbst, zum Verstorbenen.

Das heißt aber nicht, dass (b) und (c) abgeschlossen wurden. Sie können immer wieder aufbrechen, vor allem auch dann, wenn der Tod eines Kindes beklagt wird, wenn ungelöste Fragen im Raum stehen bleiben – auch abhängig vom eigenen Lebenserfolg/Lebens Misserfolg, für den man einen Grund sucht.

Wie jedes Sterben ein ganz individuelles Sterben ist, so ist auch die Trauer etwas, was ganz individuell angesehen werden muss – trotz dieser Phasen: jeder Mensch trauert auf seine Weise. Das ist für manche unerträglich. So können zum Beispiel manche Familienangehörige nicht verstehen, dass andere Angehörige schneller in den Alltag übergehen können – andere verstehen nicht, wie man nur so lange emotional trauern kann. Das kann zu Spannungen führen.

So muss man nicht nur den Grad der Nähe zum Verstorbenen beachten, nicht nur die physische und psychische Konstellation des jeweiligen Angehörigen, sondern auch die Situation, in der der Tod eingetreten ist. Ist ein Mensch plötzlich und unerwartet gestorben, so sind die Trauerphasen von einem anderen Charakter geprägt als wenn ein Mensch nach langer Krankheit und erhofftem Sterben stirbt. So kann zum Beispiel schon die Trauerphase (a) im Kontext der Verschlimmerung der Krankheit eintreten, ebenso (b). Und wenn er dann gestorben ist, kann man erleichtert hören: Er ist befreit worden, endlich ist er gestorben, vom Leiden erlöst worden.

Wenn wir nun die Trauerphasen in einem Krieg beachten, so können die Angehörigen schon irgendwie damit rechnen, dass der Soldat nicht heimkehren wird. Jeder Abschied wird dann schon zu einer Art Abschied für immer. Wenn dann der Tod wirklich eintritt, dann kann Zorn über den Krieg, die Kriegstreiber sehr dominant werden. Und an dieser Stelle wird spannend, was in den Kriegsjahren des Nationalsozialismus erkannt werden kann: Die Staatspropaganda wandte sich massiv gegen Trauer, versuchte aber dadurch auch von dem Zorn gegen Hitler und co. abzulenken. Der Heldentod wurde propagiert. Man soll nicht nur nicht traurig sein, man darf nicht traurig sein, denn der Soldat starb ja als Held für Volk und Führer. Trauer und Zorn zeigen war verpönt (s. 3.). Und wie das Beispiel unten zeigt: Wenn man diese Emotionen nicht beherrschen konnte, konnte es zum Zusammenbruch führen (s. 6.), aber auch zu einem emotionalen Erkalten.

Und wie sah es dann nach dem Krieg aus? Da durfte man trauern (s. u. 4.). Und ein Teil der Trauerphase bestand dann darin, den Ort zu suchen. An dem der Verstorbene zuletzt gelebt und gelitten hat. Erst als dann dieser Ort gefunden wurde, konnte die Trauerphase in eine ruhigere Phase übergehen. Der Verstorbene beherrschte nicht mehr die Emotionen und das Denken, sondern man hatte für ihn einen Ort im Herzen und Erinnern gefunden. Konnte also ein normales Leben weiter leben.

Unmittelbar nach dem Krieg konnte Trauer wiederum bei vielen nur sehr kurz gewesen sein, weil man einfach ums Überleben kämpfen musste, so zum Beispiel die Heimatvertriebenen. Die auf ihrer Flucht unendlich viele Tote gesehen haben und auch selbst Menschen verloren haben, die nicht mehr weiter gehen konnten und starben. Grenzenlose Trauer hätte da nur gestört. Aber auch das konnten manche nicht verstehen – so gab es Spannungen zwischen den Menschen.     

Was ist, wenn ein Mensch vermisst wurde, wenn man nicht wusste, ob er gestorben ist oder nicht? Soweit ich mitbekommen habe, ist die Hoffnung dominant, dass er doch zurück kommen wird. Um aber Gewissheit zu bekommen, ob er noch lebt – also die Hoffnung berechtigt ist -, oder gestorben ist – also keine Hoffnung mehr ist, sondern sich den Trauerphasen, die ja schon in den Menschen keimten, ausliefern konnte, haben sehr viele Menschen in der ersten Phase des Chaos alle möglichen Menschen befragt: Weißt du was von…? Und dann wurde über den Suchdienst des Roten Kreuzes gesucht – allein 2016 wurden noch 9.000 Anfragen (vor allem auch Kinder und Enkel – also die unbewältigte Trauerphase übergreift Generationen – weil es um die eigene Identität geht: Wer war mein Vater…?) gestellt. Ich kann mir denken, dass in solchen Fällen die Trauerphasen extrem gedehnt wurden, dass dann aber, weil viele das emotional gar nicht aushalten, irgendwann die Trauerphase (d) eintreten muss: Man findet neuen Weltbezug (ohne (a) bis (c) wirklich begriffen zu haben). Wie am Beispiel unter 4. zu sehen ist, hat die Frau sehr schnell wieder geheiratet, auch das konnte passieren. Nicht unbedingt, weil Liebe im Spiel war, sondern die Frage der Sicherheit dominant im Raum steht. Hier denke ich, dass dann – je nach Mensch – auch die Trauer einfach in sich verkapselt wird. (Erinnere mich an Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür. Der Kriegsgefangene Beckmann kommt nach drei Jahren wieder heim – und die Gesellschaft hat sich massiv verändert, will von der Vergangenheit gar nichts mehr wissen.)

3. Nationalsozialistische Beerdigung

3a) In dem Buch von Claude R. Foster: Der Prediger von Buchenwald Paul Schneider. Seine Lebensgeschichte (Hänssler 2001) finden wir auf den Seiten 316ff. die Auseinandersetzung während einer Trauerfeier. Ein junger Mann war gestorben und der NS-Kreisleiter beendete seine Trauerrede mit den Worten:

„Kamerad Karl Moog, nun bist du in Horst Wessels himmlischen Sturm eingegangen.“

Dagegen wandte sich Pfarrer Paul Schneider, weil die christliche Beerdigung durch nationalsozialistische Ideologie ersetzt werden sollte.

Das Horst Wessel-Lied fordert, dass die Straßen frei gemacht werden sollten für den „Sturmabteilungsmann“, es wird zum Angriff, zum Sturm geblasen… Das hat dann der DC-Pfarrer Hossenfelder sprach drei Jahre nach der Ermordung Wessels in einer Trauerrede auf einen SA Führer von der großen grauen Armee im Jenseits, im himmlischen Wachdienst, bei „dem ewigen Sturm Horst Wessels“ https://www.zeit.de/2003/39/H_Wessel-Lied/seite-3

Das bedeutet, der Nationalsozialismus hat versucht, die Jenseitserwartung des Christentums aufzugreifen, sie aber in seinem Sinn umzuprägen. Nicht bei Gott sein, sondern als braune Masse die irdische braune Masse unterstützend im Kampf.

3b) In dem Buch von Wilhelm Wilkens: Lienen in der Zeit des Dritten Reiches (LIT-Verlag 2007) finden wir die Aussage des Führers des Ortsbauernstandes zum Totensonntag 1935 (23): Wir steigen aus dem ewigen Brunnen der Volkheit zum Leben empor, wachsen und reifen zur Höhe unseres Lebens zur Ernte hin und sinken dann wieder zurück ins All, zurück in den ewigen Strom der Volkheit, aus dem wir einst gekommen sind und der in unseren Kindern weiterfließt, bis hinein in die fernsten Geschlechter…Und so bedeutet auch für uns das Sterben nur ein geringes Opfer für diejenigen, die nach uns kommen und an des deutschen Reiches Freiheit und Größe bauen werden.“

3c) Ganz deutlich wird in dem genannten Heft Seite 49:

Klar, der Volkstrauertag hatte zu verschwinden. Aus ihm wird am Sonntag Reminiscere der Heldengedenktag. ,,Gefallen für Führer und Vaterland“ heißt die Überschrift eines Artikels vom 17.6.1942, aus dem zitiert werden soll. ,,Jedes Opfer das der Krieg fordert, erweckt unser Mitgefühl mit den Hinterbliebenen. Das ganze deutsche Volk steht an den Gräbern im Feindesland und bringt den Familien tiefste Anteilnahme entgegen. Fast jede Folge der Tagespresse bringt uns mehrere Gefallenenanzeigen mit dem Eisernen Kreuz, dem Zeichen des Heldenmutes vor dem Feinde. Betrachten wir uns aber diese Anzeigen, so finden wir darin große Unterschiede in der Kundgebung des Schmerzes. Es gibt Anzeigen, die vom Stolz der Hinterbliebenen sprechen, es gibt aber auch solche, die die Größe und Schwere des Heldentodes in einem Licht darstellen, das seiner Würde widerspricht. Oft lesen wir, daß des Gefallenen einziger Wunsch, die Heimat wiederzusehen, nicht in Erfüllung gegangen sei, eine Feststellung, die wohl auf jeden Soldaten zutrifft. Nur wird dabei nicht berücksichtigt, daß ein solcher Wunsch zwar im Herzen des einzelnen Soldaten ruht, daß er aber hinter der Größe des Kampfes in den Hintergrund tritt, daß der Heldengeist unserer tapferen Soldaten vor dem Feinde an nichts anderes denkt als an den Sieg, und daß er im Sterben nur ein Bedauern kennt, diesen sicheren Sieg nicht noch miterlebt zu haben. .. . Von diesem Gesichtspunkt aus müssen wir in der Heimat das Todesopfer betrachten und es auch in einem würdigen Text der Öffentlichkeit bekannt geben … Er fiel im Glauben an den Endsieg in diesem Ringen um Sein oder Nichtsein, an den ja auch wir unerschütterlich glauben und den wir auch rein seelisch miterringen wollen“. Im Bericht von der Heldenehrung vom 9.11.1942 heißt es: ,,Ihr Tod ist uns heilige Verpflichtung. Verdammt und ausgestoßen sei der, der jemals vergißt, daß er nur lebt, weil Tausende für ihn ihr Leben und ihre Gesundheit hingegeben haben“….

„Die Sprache der Zeit ist klar und hart, wie es die Zeit erfordert.“: „Im Glauben an den Führer fiel mein lieber Mann“ oder. „Unser Bruder starb für sein Volk, das er so heiß geliebt…“

Auf den Seiten 74ff. finden wir eine  NS-Trauerrede. (Dazu s. unten Ebeling.)

4. Umgang mit dem Tod Vermisster

In dem Buch: VDK (Hg.): Krieg ist nicht an einem Tag vorbei, Kassel 2. Auflage 2005, schildert eine Frau, dass ein Baum auf dem Kriegsgräberfriedhof als Ersatz für die unbekannten Gräber des Vaters und des Großvaters dient. Er ist „der Erinnerung meiner Lieben gewidmet“ (36).

Eine andere schrieb, dass sie ihren in Russland gefallenen Vater nie kennen gelernt habe. „Es gab und gibt Augenblicke in meinem Leben, in denen ich ihm trotzdem sehr nahe war und mit ihm Zwiesprache hielt.“ (122)

Eine andere beschreibt, dass sie nicht wissen, wie der Bruder gestorben ist und beschreibt grausame Vermutungen… „Fragen über Fragen, die wohl nie beantwortet werden.“ Sie beschreibt das vergebliche Warten, erlöschende Hoffnung, „bitteres, schwer zu ertragendes Leid“. „Sie teilten es mit den Familien der über eine Million immer noch Vermissten, für deren Angehörige es nirgends ein Grab oder wenigstens einen Ort gibt, wo sie sich ihren unvergessenen Lieben im Geiste nahe fühlen können und die quälenden Fragen verstummen.“ (165f.)

In dem Buch VDK: Niemand, den man liebt, ist jemals tot. Spurensuche nach deutschen Gefallenen, Kassel, 2. Auflage 2007 – findet man viele Anmerkungen zum Umgang mit dem Sterben, wenn Menschen nicht wissen ob und wo der Verwandte gestorben ist:

Es geht darum, dass man Abschied nehmen möchte, auch wenn man das Grab nicht kennt, so doch die Gegend, in der der Mensch gefallen ist (7), dann finden manche Ruhe, wenn sie wissen, dass er „würdig begraben ist“ (16), Menschenwürde wird durch ehrenvolle Bestattung hoch gehalten (100), man findet inneren Frieden (81). „58 Jahre hatte ich getrauert, hatte ihn vermisst und war bedrückt, und jetzt, mit 67 Jahren, stand ich an der Stelle, an der sein Leben beendet wurde. Und da spürte ich, dass alle Bedrückung von mir abgefallen war. Ich war frei, ich hatte ihn gefunden, war wieder bei ihm.“ (54) Belastend war es, keinen Ort für die Trauer zu haben (60), „das Wichtigste für mich ist aber, ich weiß wo er begraben wurde.“ (128). „In mir ist nichts als Freude, endlich da zu sein, Papas Nähe zu spüren… Alles ist gut. Alle Wünsche und Sehnsüchte nach dem Vater,… die Hoffnung auf sein Wiederkommen – jetzt finden sie ihre Ruhe. Mit John knie ich vor dem Grab: `Papa, gib unserer Gemeinschaft deinen Segen!´“ (107) Andererseits: Eine Frau legt das Foto ihres Vaters auf das Grab, „damit er ein Gesicht bekommt. Es ist alles so sinnlos. Wofür ist er denn gestorben?“ (162) Ein anderes Beispiel zeigt: Die Mutter hatte kurz nachdem der Vater gefallen war, neu geheiratet. Es wurde nicht mehr über den Tod des Vaters gesprochen. Der Sohn wusste nun nicht, wie er sich zu seinem neuen Vater verhalten solle: „Mein Leben lang war ich getrieben durch Unruhe und Unsicherheit. Auf der Suche mit dem Schmerz, der Zerrissenheit und dem Verlust umzugehen und diesen in meinem Innersten einen Platz zu geben.“ (164)

Aufschlussreich sind auch die Todesbenachrichtigungen, die in diesem band abgedruckt sind:

  • Er gab sein Leben für das Vaterland – das Leben fand im Herzschuss seine Erfüllung (26)
  • „Möge die Gewissheit, dass ihr Gatte sein Leben (Vertipper: mein Leben) für die Größe und den Bestand von Volk, Führer und Reich, hingegeben hat, Ihnen ein Trost in dem schweren Leid sein, dass sie betroffen hat.“ (44; 230)

5. Christliche Ansätze

5a) Christliche Totensonntag-Predigten finden wir in: Eberhard Bethge (Hg.): Dietrich Bonhoeffer. Gesammelte Schriften, Band 4, München 1961, z.B. Volkstrauertag 1932: 42; Totensonntag 1933: 165;Volkstrauertag 1936/1937: 197ff.; eine Trauerfeier 1936: 456ff.; eine Trauerfeier für einen an der Front Gefallenen 1941.

Diese letztgenannte Predigt ist interessant: Es geht zuerst lange um den Glauben des jungen Mannes. Mit der Hingabe seines Wesens diente er der christlichen Gemeinschaft. Dann, ab Seite 581 beginnt er über das Soldatsein zu sprechen. Er wollte sich bewähren vor Menschen und Gott. „Er gab es für sein Vaterland im eigentlichsten Sinne des Wortes, für das Land, dem seine Väter mit ihrer Kraft, ihrer Waffe, ihrem Gewissen, ihrem Glauben gedient hatten“. Hier wird das Vaterland in einem anderen als nationalsozialistischem Sinne verstanden. Das „christliche“ Vaterland ist, wie er es in einer Rede zum Volkstrauertag / Heldengedenktag sagt, das himmlische Vaterland. Und das zu verkünden – mit dem Ziel des Friedens – ist der Auftrag der Christen. Dem gilt „Handeln, Hingabe und Opferbereitschaft“ (199)

5b) Gerhard Ebeling: Predigten eines „Illegalen“ 1939-1945, J.C.B. Mohr, Tübingen 1995 – schreibt (98 – in einer Predigt von 1940): „ Bringt einer sein Leben in hingebendem Dienst als Mutter oder im Beruf, oder als Soldat zum Opfer dar, so hilft uns über die Trauer das Bewusstsein hinweg, dass der Tod sinnvoll war.“ In seiner Predigt nach dem Krieg 1945 (156ff.) sieht er, dass alles in Trümmern ist, und angesichts der vielen Opfer und des Leidens „Warum“ gefragt wird. – letztendlich soll man aber danken, dass die Krieg endlich vorbei ist – und Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht…

Angesichts von Stalingrad beschreibt er den Unterschied des Umgangs mit dem Sterben von Christen und Nichtchristen. Nichtchristen, die keine Hoffnung haben, sind sogar dem Sterben gegenüber abgestumpft, manche tragen Gleichgültigkeit und Kaltblütigkeit bewusst zur Schau, andere haben entsetzliche Angst und Verzweiflung. „Wie zeugen doch nicht zuletzt all die schönen Worte, mit denen man das Sterben heute in Reden und Todesanzeigen und auf Grabmälern verbrämt, von dieser Hoffnungslosigkeit. Dass man in seinen Werken oder im Blutstrom des Volkes oder in seinen Kindern fortlebe, ist ja nur Ausdruck der Resignation, die keine persönliche Hoffnung kennt. Am ehrlichsten ist man gewiss da, wo man sich an Gräbern halt- und fassungslos dem Schmerz hingibt.“ (122f.) Dagegen der christliche Glaube: Auferstehung in Jesus Christus, Herrlichkeit, Glaubende sind in Christus mit den verstorbenen innigst verbunden… (128f.)

5c) In dem Buch von Franz Graf-Stuhlhofer: Öffentliche Kritik am Nationalsozialismus im Großdeutschen Reich. Leben und Weltanschauung des Wiener Baptistenpastors Arnold Köster (1896-1960), Neukirchener Verlag 2001, 199 finden wir eine Vermischung: „Im Weltkrieg 1914 hat es viel heldenhaftes Sterben von Soldaten gegeben, … die den Heldentod, den Opfertod starben. … Da ist der Tod des gläubigen Soldaten nicht ein Opfertod, sondern der Gang in das Vaterhaus“ (1939). Seite 241 heißt es:

Der Tod eines Soldaten kam bewundert werden – aber auch bedauert. Bewunderung fungierte als Unterstützung für Hitlers Kriegsanstrengungen. Je stärker dagegen der Blick auf das Tragische des Sterbens eines Menschen gerichtet wird, desto naheliegender ist eine distanzierte Einstellung gegenüber großen Kriegsplänen, insbesondere wenn deren Sinnhaftigkeit nicht unmittelbar einleuchtet. Für Köster war das Leid von Kriegsbetroffenen sofort nach Kriegsausbruch ein Gebetsanliegen: ,,Wir wollen an all die vielen denken, in deren Hütten und Herzen jetzt namenloses Leid einkehrt, die nächste Angehörige haben hergeben müssen, die mitten in Kriegswirren drinnenstehen, in Not und Tod, im Sengen und Brennen, Verwüstung und Vernichtung: Daß sie hineingerufen werden – durch unermeßliches Leid – in Gottes Liebe.“ (3. Sept 1939)

6. Anmerkungen

Diese Spannung: Die Gesellschaft gibt (bei Strafe) vor, angesichts des „Opfer-“Todes fröhlich zu sein – aber man sieht es als eine einzige Katastrophe an und fragt sich: Wofür das sinnlose Leiden – und daran kann man dann auch zerbrechen. Dass die Opfer sinnlos waren – gab es diesen Ansatz auch schon während der Siegeszüge? Nach dem Krieg auf jeden Fall.

Jeder gratuliert dir, zumindest in den Jahren der Expansion: Klasse, dein Kind ist den Heldentod gestorben – aber du trauerst um den Verlust, darfst ihn nicht zeigen, musst stolz sein: Ja, er ist den Heldentod gestorben. Und er wurde auf dem Heldenfriedhof begraben…. (VDK 224f.) Manche Hardcore Leute haben auch wirklich so gedacht (wie man an dem Interview mit einer Palästinenserin auch sehen konnte…). Dann, nachdem die Zeiten der Expansion vorbei waren und alle wussten, dass die Phrasen vom Heldentod Phrasen sind, aber keiner sagen durfte, dass das Phrasen sind… – man wird allein gelassen mit seiner Trauer, zerreißt sich. In dem Buch der VDK findet sich auf Seite 210 eine heftige Situation beschrieben: Eines Abends begrüßte die Nachbarin „meine Mutter mit den Worten: `Heil Hitler… ich gratuliere und beglückwünsche Sie, dass Sie Ihren Sohn Walter für Führer, Volk und Vaterland geopfert haben.´ Meine Mutter verlor daraufhin völlig die Fassung.“