Wie sozial sind soziale Medien?
Früher. Früher im Dorf. Es gab Tratsch und tröstende Worte, es gab ernsthafte Gespräche und witzige Wortwechsel, es gab Ausgrenzungen und Öffnungen, Feindschaft und Liebe, das Wort Gottes und Gottloses. All das finden wir heute auch im Internet, in den sozialen Medien.
Ist das vielfältige Leben im Dorf sozial? Es ist Gemeinschaft in Vielfalt und kann sozial sein: Wenn man sich gegenseitig hilft, Schwache stärkt – aber es kann auch sehr asozial sein, wenn man das Gegenteil wirkt: Menschen belästigt, beschuldigt, sich zusammenrottet, Gerüchte streut.
Soziale Medien können sozial sein: Menschen finden sich, die sich aus den Augen verloren haben, sie tauschen sich aus zum Wahren, Schönen, Guten, Glaube, Hoffnung, Liebe. Man bekommt Hilfe (Links von helfenden Organisationen), Menschen finden Gleichgesinnte, sind nicht mehr einsam, Menschlichkeit kann vor Augen gemalt werden, sie helfen in Ängsten und warnen vor Gefahren. Man kann ganz schnell Informationen aus seinem Dorf und Lebensumfeld bekommen. Soziale Medien können aber auch asozial sein: Mobbing, Hass und Unmenschlichkeit verbreiten, Ahnungslose kriminell übers Ohr hauen und Gefühle missbrauchen, zur Sensation aufgebauschte Nichtigkeiten und gefälschte Bilder verbreiten.
Im Alltag regeln Gesetze und die allgemeine Moral das Zusammenleben. In den sozialen Medien regelt im Augenblick niemand etwas. Menschen können anonym alles veröffentlichen. Und das führt so manchen dazu, wie man auf gut Dorf-Weise sagt: die Sau rauszulassen: politisch, sexuell, religiös… Der Staat versucht, die Verantwortung für Internet-Hygiene auf die Betreiber der sozialen Medien abzuschieben, damit sie Zensur ausüben. Das ist nicht gut. Unsere Gesellschaft muss – und wenn es nicht anders geht mit klaren Gesetzen – Wege finden, Hass, Kriminalität, Rassismus, Denunziationen einzuschränken. Erst einmal liegt es jedoch an jedem Einzelnen:
Es liegt an uns, ob soziale Medien die Bezeichnung „sozial“ verdienen, es liegt an uns, welchen Gruppen wir beitreten, was wir liken und twittern, mögen und zwitschern, ob wir verantwortlich handeln mit Blick auf uns selbst und auf die Gesellschaft. Soziale Medien schaffen Gemeinschaft im Unguten wie im Guten. Sie sind nicht besser und nicht schlechter als die Menschen einer Dorfgemeinschaft. Die Menschen sind ganz die alten – fühlen sich mit modernen Medien nur fortschrittlicher.
Aber irgendwie fehlt einem etwas, wenn man statt in ein lebendiges Gesicht auf den Bildschirm schaut. Dann wendet man sich wieder den handfesten Menschen im Dorf zu, dankbar, dass man sie hat, und streichelt froh der Katze vom Nachbarn übers Fell, statt nur putzige Katzenfotos anzuklicken. Das wahre Leben ist doch was anderes. Irgendwie besser.