Neulich habe ich das kurz angesprochen mit Blick auf das Stillen: Frauen bekämpfen das öffentliche Stillen der Kinder durch andere Frauen.
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Ich hatte das verbunden mit Naturfeindlichkeit. Das lässt sich auch bei vielem anderen beobachten:
- Kinder bekommen ist nicht mehr so in, in bestimmten Kreisen, Kinder stören. Kinder sind Natur – aber sie stören den Lebensablauf, sie stören die Selbstbestimmung – auch wenn sie erst dazu führen, sich auf neue Art und Weise selbst erfahren, selbst bestimmen zu können. Schwangersein ist zu viel an Natur. Ist noch immer unkontrollierbare Natur.
- Sex – es bleibt spannend, ob auch Sex immer stärker in den Hintergrund rückt, denn das ist ja Natur pur: Trieb, Ekstase, Austausch von Körperflüssigkeiten, wie Benn sagte. Oder technisierte Formen annimmt bzw. durch Gedankensex ersetzt wird. (Interessant ist an diesen Punkten: Dem christlichen Glauben wird Körperfeindlichkeit vorgeworfen, weil Nonnen/Mönche/Priester keine Kinder haben [wie auch buddhistische Mönche/Nonnen]. Ist diese Lebensform eine Art Vorbild für die Natur-Verweigerer von heute? Freilich ist der Hintergrund ein anderer.)
- Menschen möchten natürlich essen – essen vegan – was zum Teil mit viel Chemie verbunden ist. Und so nennen sie ihre künstlich mit Aromen versehene Wurst: Wurst. (Es gab und gibt auch christliche und buddhistische Strömungen, die sich vegan ernähren, im Paradies ernährten sich auch alle vegan – eine Art Vorgriff auf das kommende Paradies.)
- Menschen lassen ihre Haut nicht so, wie sie natürlich ist, sondern sie Tätowieren sie, eine Art legalen Ritzens, Schmerzen spüren, spüren, dass ich noch bin.
- Schminken ist nicht mehr einfach nur ein wenig auffrischen. Schminken ist eine Kunst, seine Natur zu verändern – und wenn man sonst will: über Filter. Das wird freilich nicht genannt: Ich will anderen gefallen, sondern mir selbst. Von Schönheitsoperationen und Geschlechtsoperationen (die nicht medizinisch oder psychisch wirklich notwendig sind) ganz zu schweigen: Ich bin ich, aber nur so, wie ich mich haben will.
- Die Gesellschaft übernimmt Verantwortung für die Natur – indem sie die Natur nicht Natur sein lässt, sondern die Natur verändert. Wälder dürfen nicht Wälder sein, wir müssen sie für das Klima fit machen! Das Klima verändern wir durch unser bloßes Dasein, wie die gesamte Natur durch uns verändert wird. Aber wir versuchen die Natur zu disziplinieren, in den Griff zu bekommen. Jede Bewegung, die sie macht, wird mit Ängsten und Aktivismus begleitet.
Früher haben Menschen die Natur verändert, weil sie sie gebraucht haben, weil sie ihnen Ängste bereitete. Heute verändern wir sie, weil wir sie brauchen, weil wir sie disziplinieren wollen, weil wir ihr zeigen wollen, wer der Herrscher in der Natur ist – und: um zu zeigen, wir sind besser als die Natur, wir können was, was sie nicht konnte: naturwissenschaftlich gesehen.
Wir Menschen greifen naturwissenschaftlich und technisch in die Natur in einem massiven Maß ein. Es sei nur an den Trans- und Posthumanismus gedacht, die den Körper des Menschen technisieren oder ersetzen möchten. Letztlich hat der Mensch keine Kontrolle mehr über seine Werke. Und alles immer im Namen des Guten, des Nützlichen, des Leid verhindernden. Vielleicht sollten wir uns an die schmerzhafte Tatsache erinnern, dass bewusst wahrgenommenes Leiden, der Versuch der Psyche, damit umzugehen, eine Besonderheit des Menschen ausmacht.
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Wir Menschen sind Geschöpfe Gottes. Wir sind Teil der Natur. Wir sind unserer Natur unterworfen – und wir sind mit Verstand und Vernunft ausgestattet, damit wir sie verantwortungsvoll verwenden können. Damit haben wir noch genug zu tun – müssen uns nicht als Herrscher über sie aufplustern.
Der Schöpfungsgeschichte Genesis 1 wird vorgeworfen, den Menschen zu überhöhen. Der Mensch damals war Statthalter Gottes in Gottes schöner Schöpfung. Von Überhöhung konnte nicht die Rede sein, der Mensch war wie alle Geschöpfe ein Teil dieser – allerdings mit Verantwortung für sie versehen. Heute werfen wir der Schöpfungsgeschichte eben Überhöhung vor – und gleichzeitig überhöhen wir uns über die Natur in einem Maße, die bislang nicht bekannt war. Bescheiden wie wir Menschen nun einmal sind, nennen wir das dann: Wir tragen Verantwortung für sie.
Wir müssen uns über die Natur keine übertriebenen Sorgen machen,
aber über uns Menschen, die wir uns aktivistisch überhöhen.
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Nur am Rande: Neulich empörte sich auf TikTok eine voll Lippen aufgespritzte Frau, die sich lange Wimpern angeklebt hatte und nach allen Mitteln der Kunst geschminkt war, darüber, dass hässliche Frauen mehr Aufmerksamkeit und Likes usw. bekämen als sie. Statt hässlich meint sie wohl: natürlich aussehende Frauen. Wenn das stimmt, dass natürlich aussehende Frauen mehr Likes usw. bekommen, dann lässt das hoffen. Vielleicht kommt bei ihr langsam die Erkenntnis, dass es nicht auf Schminke und co. ankommt im Leben.
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Natürlich gibt es auch ein „intellektuelles Aufspritzen“. Aber das ist ein anderes Thema – vor allem: Es ist schwerer zu erkennen.